Über wahre Tugend im Tao-Te-King und im Liber Legis

Den Guten bin ich gut.
Den Nichtguten bin ich auch gut.
Wahre Tugend ist Güte.
(Tao-Te-King, Vers 49)

Das ist die Voraussetzung für Moral. Sich für das Gute entscheiden heißt, dem eigenen Wert folgen, nicht dem Bösen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Denn wer das tut, hat verloren: Als Reaktion auf jedes verschlagene Verhalten anderer wird er selbst verschlagener, durch jeden Kontakt mit habgierigen Menschen wird er selber habgieriger ... usw. Am Ende siegt das Böse durch seine Masse.

Das Tao-Te-King fordert hier dazu auf, selbst der Wertmesser des Lebens zu werden. Es sagt: Hör auf damit, nur als Kopie zu leben!

Das LLL stimmt dieser Einstellung völlig überein. Im Kapitel Hadit lesen wir:

57. "Wer gerecht ist, soll weiter gerecht sein. Wer unwürdig ist, soll weiter unwürdig sein."
58. "Ja! Rechnet nicht mit Veränderung. ..."

Wer gerecht ist, der "soll weiter gerecht sein" - das passt zum Tao-Te-King. Und nun das Verstörende: "Wer unwürdig ist, soll weiter unwürdig sein." Was, keine Aufforderung zur Besserung des schlechten Charakters? Kein Appell, kein Bitten um ein bisschen mehr Anstand, Güte oder Moral? Nein! Das Liber Legis nimmt Menschen ernst und belässt uns die volle Verantwortung.

Wer keine Würde hat, soll so weitermachen! Sonst würde er sich verstellen - das bringt eh nichts. Wer mal was Gutes tun will, um besser dazustehen, nicht aus eigener Überzeugung, der macht auch das als Geschäft. So jemand rechnet: Was kostet mich eine 'gute Tat' und wieviel bringt sie ein? Der will Anerkennung, Streicheleinheiten, Prestige ... unwürdig bleibt er trotzdem.

"Ja! Rechnet nicht mit Veränderung. Ihr sollt sein wie ihr seid und nicht anders." Das zieht allen Wunschvorstellungen über organisiertes Besser-Menschentum den Boden unter den Füßen weg. Wie brisant das ist, wird klarer, wenn wir an die heute in Mode stehenden Maßnahmen der Volksbesserung denken: Gendern, Antidiskriminieren, massenhafter Wohlstandstourismus, "Ausnahme"zustände als Normalität ... diese Programme sind letztlich auf die Dressur harmloser Halbaffen konzipiert.

Vielleicht wäre die dem Liber Legis gemäßere Sozialordnung eine Art Kastengesellschaft? "Rechnet nicht mit Veränderung" und "ihr sollt sein, wie ihr seid", das könnte dafür sprechen. (Das müsste weiter untersucht werden. Hier nur als Arbeitshypothese).

Der eingangs zitierte Vers 49 des Tao-Te-King endet:

Der Weise lebt still inmitten der Welt,
sein Herz ist ein offener Raum.
Die Menschen schauen und hören auf ihn,
und er sieht in allen seine Kinder.

Der Weise kümmert sich um die Menschen, um alle. Er ist empathisch. Da ich diese Zeilen schreibe, fällt mir plötzlich wieder der Pfarrer ein in dem Roman "Die Elenden" von Victor Hugo. Da gibt es diesen Pfarrer, der den Ex-Sträfling Jean Valjean bei sich übernachten lässt. Valjean bestiehlt ihn, die Polizei schnappt ihn und findet das Diebesgut. Sie befragt den Pfarrer als vermeintliches Opfer und der Pfarrer deckt Valjean! Er gibt zu Protokoll, dass die Beute rechtmäßiges Eigentum Valjeans sei. Er bewirkt damit ein Wunder und ermöglicht Jean Valjean die Konversion - Valjean wird ein anderer Mensch. Ich könnte jetzt wild psychologisieren: Hat er sich gewandelt? Hat er sein falsches Ich abgestreift? Hat sich seine Seele verändert? Lebt er vielleicht erst ab diesem Moment? usw., usf. Wichtig ist jedoch nur, dass er den Strohhalm ergreift, den der Pfarrer ihm reicht. Wichtig ist, dass er sich entscheidet, ein Anderer zu werden. Hier gibt es kein Rechnen und kein berechnendes Verhalten, sondern hier trifft einer seine Entscheidung für das Leben.

Das muss man im Blick haben, wenn das Tao-Te-King und das Liber L vel Legis die Guten und die Nichtguten, die Gerechten und die Unwürdigen, Sklaven und Bettler streng unterscheiden: Sein Leben ändern kann nur jeder selbst. Das lässt sich kürzer sagen: Leben kann nur jeder selbst. Das ist beinahe banal, also unstrittig. Na, bestens! Hier ist fester Boden, auf dem du stehen kannst.

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Über den Autor

Interessen: Thelema, Kunst, Gesellschaft. Ich will eine Welt, auf die ich mich freue, wenn ich mir vorstelle, dass ich sie später wieder betrete. Die jetzige taugt mir noch nicht. Der Blog ist ein Teil unserer groß angelegten MultiWelt Verschwörung:
Verführung, Ansteckung mit Phantasie, Austreibung von Stumpfsinn. Mehr darf ich noch nicht sagen :-)