Verarmung der Natur - Verarmung der Sprache. Technik und Standardisierung

Zur Technisierung der Sprache - Search engine optimization. Übertragung der technischen Welterschließung von der Umwelt, der Natur aufs Schreiben und Reden: Sprache wird durchgemessen und auf ihre Nützlichkeit optimiert.

Die Natur verliert ihre Seele. Von der Natur zur Ressource zur Öko-Bilanz

Martin Heidegger sagte, im Zeitalter der Technik sei die ganze Welt auf ihre Verwendbarkeit hin gestellt. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen: Aus dem unberührten Wald wurde ein Forst, ein Nutzwald. Der Forst hat Zufahrtswege, er ist in Sektoren unterteilt, um die Holzernte effizienter zu machen. Im Berg lebten einst die Zwerge und in rauhen Schluchten die Riesen. Nun wird im Berg Bergbau betrieben: dafür wird der Berg aufgebrochen. Ein Fluss wird schiffbar gemacht und kann nicht mehr mäandern, da die Auen als Wohngebiet erschlossen werden. Ein Wasserkraftwerk wird in ihn gebaut und der Wasserstand penibel justiert, damit die Turbinen effizient arbeiten.

Kurz: Die Natur, wie die Romantiker sie priesen und die alten Heimatfilme sie noch zeigten, die gibt es nicht mehr. Sogar die Naturschützer haben die abstrakte Welterschließung verinnerlicht. Abstraktion ist eine Begleiterscheinung der Technik. Zum Beispiel das FSC Zertifikat, ausgestellt vom regierungsunabhängigen Forest Stewardship Council. Es gilt als das beste Kriterium weltweit für umweltfreundliches Papier. Der Standard wurde 25 Jahre lang entwickelt, aber ob man FSC-konform Urwälder oder jüngere Waldstücke zersägt, macht fürs Zertifikat keinen Unterschied.

Der Punkt ist: Nur, was man in Paragraphen fixiert (und die Einhaltung kontrolliert), wird gemacht. Das ist bürokratischer Stumpfsinn, auch wenn der Paragraphenreiter es als "Transparenz" schönredet. Was ist das Öko-Siegel wert, das man mit so einer Einstellung stempelt?

Die Sprache verliert ihre Seele. Von der Weisheit zur Ressource zum Transportmittel der Ideologie

50 Jahre nach "Die Technik und die Kehre" findet in unserer Sprache eine parallele Entwicklung statt: Sprache soll zurechtgefeilt werden wie ein Werkstück - auf dass sich menschliche Adressaten noch effizienter lenken lassen. Ein Staatschef spricht öffentlich in einfacher oder in "Leichter Sprache" (einem Sprachmuster für Menschen mit geistiger Behinderung).

Überregionale Zeitungen schreiben SEO-konformes Deutsch und gestalten ihre Webseites nach den Taktanforderungen der Suchmaschine. So werden selbst "fertige" (veröffentlichte) Artikel mehrmals aktualisiert und ergänzt und die Zeitangabe der letzten Änderung steht sichtbar dabei. Jeder soll es wissen: Hier ist ständig alles in Bewegung!

Google liefert Ergebnisse von Websites, deren Redaktionen trainiert sind, googlekonform ("SEO-optimiert") zu schreiben. Gut für die Suchmaschine. Aber noch nie war das Internet so öde wie heute.

"Was Menschen auf Google suchen, das hat sich in den letzten Jahren essentiell geändert. Das Wissen des Internets verfügbar zu machen, nur davon träumten die Google-Erfinder noch 1998 in ihrem Gründungstext "Die Anatomie einer Suchmaschine". Schnell haben die Benutzer allerdings begonnen, die Suchmaschine nicht zur Erschließung des Wissens im Internet, sondern als Index ihrer Wirklichkeit zu gebrauchen." (M. Bunz/ FAZ vom 24.Januar 2011)

Sprachverarmung und SEO

Letztens hatte ich Redensarten zusammengetragen, die den Begriff "Punkt" behandeln, weil sie sich als Illustration zu Hadit lesen lassen.

Ich habe den Eindruck, dass Redensarten nicht mehr zur Sprache der Gegenwart gehören. Sie sind in der Öffentlichkeit nicht anzutreffen. Wenn ich Zeitung lese, Nachrichten höre oder im Internet unterwegs bin, finde ich keine Redensarten - oder wo doch einmal, wirkt es linkisch, missglückt. Es ist dann so, als ob ein Deutscher das erste mal mit Stäbchen Reis essen will ... Bringt ihm bitte einen Löffel, es geht sonst schief. Ich habe den Eindruck, dass die Sprache der Redewendungen und Sprichwörter, der Bedeutungsnuancen, der Bilder aus der Öffentlichkeit verschwunden ist. Heute fehlen die Bezüge zum wirklichen Leben und Sprechen. Wie kann das sein?

Die Zäsur kam mit der Kommerzialisierung des Internet. Die großen Zeitungen sprachen von Digitalisierung, Google wollte die "Jauchegrube" Internet auspumpen - ich meine, so ab 2010 fiel es mir vermehrt auf. Texte wurden besser maschinenlesbar, aber auch geschichtslos, blasser und geistloser.

Die Branche der Suchmaschinenoptimierung (SEO) steht i.d.Z. für die Entgeistigung, Mechanisierung der Sprache. Wer anders schreibt, wird nicht gelesen. Statt dass die Suchmaschinen besser wurden im Texterfassen, verarmen wir unsere Sprache, extrahieren Informationshappen, die Google verdauen kann.

Etwas entgeht dabei den Menschen, indem es sich entzieht.

Das Leben voller Sensationen und die innere Leere

"Entzug ist Ereignis. Was sich entzieht, kann sogar den Menschen wesentlicher angehen und in den Anspruch nehmen als alles Anwesende, das ihn trifft und betrifft. Die Betroffenheit durch das Wirkliche hält man gern für das, was die Wirklichkeit des Wirklichen ausmacht. Aber die Betroffenheit durch das Wirkliche kann den Menschen gerade gegen das absperren, was ihn angeht, angeht in der gewiß rätselhaften Weise, daß es ihm entgeht, indem es sich ihm entzieht. Das Ereignis des Entzuges könnte das Gegenwärtigste in allem jetzt Gegenwärtigen sein und so die Aktualität alles Aktuellen unendlich übertreffen." (Martin Heidegger)

Frag dich selbst mal. Was fehlt dir im Leben? Was ist das sich Entziehende? Wie nennst du es? Weißt du, wie du diese Leere wieder füllst?

Eigentlich wollte ich hier aufhören, aber ... vielleicht hilft der Zusatz noch.

Nachtrag

Das Problem ist nicht per se die Maschine und auch nicht die Suchmaschine. Verheerend ist, dass die Gesellschaft sich an der Herausforderung vorbeischummeln will. Die "trans-klassische Maschine" (Gotthard Günther) bildet Denkprozesse nach und zwingt dadurch Menschen, ihr im Alten Äon geformtes Menschenbild (Mensch = Subjekt) zu ersetzen, weil jetzt offenbar ist, dass Gedanken nicht genuin menschlich sind. Was ist nun der Mensch? Wodurch kann der Mensch des Alten Äons ersetzt werden? Durch den Übermenschen? - wer oder was ist das? Durch den Thelemiten? - Wie geht das?

Zur transklassischen Maschine: Gotthard Günther: Die zweite Maschine

Günthers Kybernetik ist ein Thema für sich. Ich erwähne das hier nur, weil manche Leser damit vertraut sind und sich vielleicht fragen, Was hat der denn jetzt für ein Problem mit Suchmaschinen? - Antwort: Zwei Probleme:

  1. Das Internet hat die Welt im Sturm erobert und dann kommt der Staat und zischelt, dass Protokolldaten privat(!) und persönlich (sic!!!) seien. Verdammt! Bald wird es staatlich geprüfte Internetbeamte geben. Bitte stellen Sie sich an, bevor Sie klicken...
  2. Google wird schwach und verändert die Suchkriterien, damit das Netz überschaubar und kontrollierbar wird wie die alten Massenmedien.

Das sind von zwei Seiten Bremsen, um die Geburtswehen des Neuen Äons nochmal auszusetzen. Mist! Aber es wird nicht gelingen! :)

Neuen Kommentar schreiben

knut's picture

Über den Autor

Interessen: Thelema, Kunst, Gesellschaft. Ich will eine Welt, auf die ich mich freue, wenn ich mir vorstelle, dass ich sie später wieder betrete. Die jetzige taugt mir noch nicht. Der Blog ist ein Teil unserer groß angelegten MultiWelt Verschwörung:
Verführung, Ansteckung mit Phantasie, Austreibung von Stumpfsinn. Mehr darf ich noch nicht sagen :-)