Hadit, die geflügelte Sonne und der Punkt

"In der Sphäre bin ich überall das Zentrum, während sie, der Umfang, nirgendwo gefunden wird." - Hadit, Vers 3

Wer sich schon einmal mit dem Liber L vel Legis beschäftigt hat, kennt sicherlich die Darstellung von Nuit als Kreis, Hadit als Punkt und Ra Hoor Khuit als Kreuz im Kreis. Nuit ist i.d.Z. das Wahrgenommene, Hadit der Wahrnehmende/ das Bewusstsein und RHK der Prozess der Wahrnehmung. Von diesen Grundfragen nach Beziehung und Struktur der drei Gottheiten ausgehend, geht es mir diesmal aber nur um Hadit. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass so eine Struktur - so wichtig sie ist - zu blass bleibt, wenn sie kein Fleisch auf die Rippen bekommt.

Und da stieß ich auf "Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund" und darin auf eine Fülle an Entsprechungen zu Hadit als dem nulldimensionalen Punkt, raumlos, nicht-seiend, winzig, auf den aber alles ankommt. Was sind das für Entsprechungen? Es sind Redensarten, Sprachbräuche, Elemente der Umgangssprache, wie ich sie noch aus meinem Elternhaus kenne.

Man sagt z.B.: "Das ist der springende Punkt." Die Redensart meint, dass hier der Kernpunkt einer Sache ist, das, worauf es ankommt. Die Redensart ist gelehrten Ursprungs. Aristoteles (389-322 v. Chr.) spricht in der "Historia animalium" (6. Buch, 3. Kap.) davon, dass sich im Weißen des Eies das Herz des werdenden Vogels "als ein Blutfleck" anzeige; "dieses Zeichen (semeion) hüpfe und springe wie ein Lebewesen ..."

Die Humanisten haben den aristotelischen Ausdruck mit "punctum saliens" wiedergegeben und von hier aus in der Bedeutung 'Kernpunkt des Lebens, Punkt, in dem die spätere Entwicklung des Wesens beschlossen liegt' weiterverbreitet. Es ist also nicht nur eine Redewendung, die sich durch die Jahrtausende zieht, sondern das Konzept des Punktes, auf den alles ankommt, wurde schon in der Antike und dann durch das Alte Äon tradiert.

Im ursprünglichen Sinne gebraucht den Ausdruck auch Friedrich Schiller. In seinem Gedicht „Der Genius" (1795) liest sich das so:

Da noch das große Gesetz, das oben im Sonnenlauf waltet
und verborgen im Ei reget den hüpfenden Punkt,
noch der Notwendigkeit stilles Gesetz, das stetige, gleiche,
auch der menschlichen Brust freiere Wellen bewegt.

Jean Paul schreibt 1807 in "Levana oder Erziehungslehre": "Jede Erfindung ist anfangs ein Einfall; aus diesen hüpfenden Punkten entwickelt sich eine schreitende Lebensgestalt."

"Goethe spricht gern vom 'Lebenspunkt' oder 'Quellpunkt'; W. Raabe sagt 1875 im 2. Kapitel seiner Erzählung 'Vom alten Proteus': 'So wollen wir nun dem Hüpf-, Brüt- und Lebenspunkt im Ei dieser Historie näher gehen'. - Auch von einem 'wunden Punkt' reden wir bildlich zur Bezeichnung einer Schwierigkeit, einer dunklen Stelle, eines faulen Flecks der, wie eine Wunde, geheilt sein möchte und doch leise gefaßt sein will." (zit. nach: "Die Sprichwörtlichen Redensarten")

Auf dem toten Punkt anlangen, heißt soviel wie mit einer Sache nicht weiterkommen. Das ist eine im 19. Jahrhundert aufgekommene Redensart, die aus der Technik stammt. Auf dem toten Punkt befindet sich eine Dampfmaschine, wenn Kurbel und Pleuelstange eine gerade Linie bilden. "So schreibt der Dichter-Ingenieur Max Eyth 1899 in 'Hinter Pflug und Schraubstock', Bd. 2, S. 263: ,Dank dem nicht zu bändigenden Willen meines unglaublichen Schwiegervaters ist der tote Punkt überwunden'. ("Die Sprichwörtlichen Redensarten")

"Ich bin die Flamme, die in jedem Menschenherzen brennt und in dem Kern jedes Sterns. Ich bin Leben und Lebensgeber, doch deshalb ist das Wissen um mich das Wissen um den Tod." - Hadit, Vers 6

Manchmal sagt man: Das setzt nun noch den Punkt aufs i! "Der Punkt auf dem i bezeichnet sprichwörtlich das, was eine Sache erst zum vollen Abschluß bringt, so klein es ist (...)" Also heißt, den Punkt aufs i zu setzen, peinlich genau in einer Sache sein.

Und der Punkt markiert auch ein Ende, wie in dem Ausruf "Nun mach aber einen Punkt!" Nun hör aber auf mit deinen Klagen oder ähnlichem! Hier wird der Punkt als Satzschlusszeichen angesprochen. Wo der Punkt gesetzt wird, hört der Satz auf. Punkt.

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Über den Autor

Interessen: Thelema, Kunst, Gesellschaft. Ich will eine Welt, auf die ich mich freue, wenn ich mir vorstelle, dass ich sie später wieder betrete. Die jetzige taugt mir noch nicht. Der Blog ist ein Teil unserer groß angelegten MultiWelt Verschwörung:
Verführung, Ansteckung mit Phantasie, Austreibung von Stumpfsinn. Mehr darf ich noch nicht sagen :-)